Geschätzte Bikerinnen und Biker
Um ein neues Motorrad ausgiebig auf Herz und Nieren zu testen, gibt es bekanntlich viele Wege. Dieses Jahr habe ich mich dazu entschlossen, dies mittels der Granite Rider Tour (http://www.graniterider.com) zu vollziehen. Bei der Granite Rider Tour muss man innert 48h, 12 vorgegebene Schweizer Pässe befahren. Dabei legt man über 1'000km zurück. Eines kann ich vorwegnehmen, eine gute körperliche Verfassung, eiserner Willen und genügend Sitzfleisch erleichtern die Aufgabe ungemein.
Am Samstagmorgen, 28.07.18 ging es um 05:50 Uhr los. In Davos und Umgebung schien es mir, als ob die meisten Bürger noch schlafen würden. Auf dem Flüelapass war ich gefühlt der einzige Biker zu dieser Tageszeit. Kein Wunder, wenn man am Wochenende nicht arbeiten muss, gibt es ja auch fast keine Gründe, um so früh auf den Schweizer Passstrassen unterwegs zu sein. Kurz vor Samedan zeigte das Thermometer 9 Grad an. Trotz der zahlreichen hitzigen Tage in den vergangenen Wochen definitiv zu kühl, wenn man mit Sommerausrüstung unterwegs ist. Aber Hauptsache kein Regen; dieser erwartete mich jedoch am Nachmittag. Der Julierpass war mir von diversen Motorradausflügen bestens bekannt. Von Thusis aus ging es Richtung St. Bernardino Pass. Auf der Passhöhe gönnte ich mir ein Glas Cola und einen gefühlt 2 Tage alten Nussgipfel. Das Ganze zum Schnäppchenpreis von CHF 10.-. Die Gastgeber werden mich so schnell nicht wiedersehen; getreu dem Motto "das erste und letzte Mal".
Die Fahrt durchs Tessin war wie fast immer angenehm und deutlich wärmer als im Engadin und auf den bereits erfolgreich gemeisterten Passhöhen. Insbesondere meine Fingerspitzen wussten dies sehr zu schätzen, da diese allmählich "auftauten". Gerne hätte ich noch ein "Grotto" aufgesucht, aber aus Zeitgründen musste ich dieses Vorhaben über Bord werfen.
Den Lukmanierpass bin ich auch schon des Öfteren gefahren, jedoch in den meisten Fällen in der Fahrtrichtung Graubünden – Tessin. Ein Pass, der mir immer schon gefallen hat. Auf der Bündner Seite hatte es inzwischen leicht angefangen zu regnen, aber zu wenig stark, so dass ich die Reise ohne Regenschutz nach Disentis fortsetzen konnte. In Disentis habe ich im Restaurant "La Furca" zu Mittag gegessen. Ein Restaurant, welches ich wirklich empfehlen kann. Freundliche Gastgeber und eine tolle Küche.
Der Himmel war zu diesem Zeitpunkt auch schon klarer und weniger Wolken überzogen. Realistisch betrachtet, musste ich also mit Regen rechnen, wollte diesen aber (noch) nicht wahrhaben. Über den Oberalppass sowie über Teile des Furkapasses "donnerten" vier Harley-Davidson Biker mit ihren V2-Maschinen und St. Galler Kennzeichen vor mir über die Passstrasse. Dieses Schauspiel hat mich so fasziniert, dass ich diesem länger als eigentlich geplant, zugeschaut habe. In Andermatt angekommen, erinnerte ich mich beim Vorbeifahren an einem Kasernenareal an die strenge Gebirgswoche während meiner Zeit in der Offiziersschule; man bedenke, dass ist nun auch schon über 18 Jahre her.
Da mich der Kanton Wallis mit Regen begrüsste, galt es nun auch für mich, einen Regenschutz anzuziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte ich Temperaturen von 9 Grad bis knapp 28 Grad erleben. Wind, Regen und Sonne und das in einem Zeitfenster von zirka 8 Stunden. Die Schweiz und Ihre Alpen können sich sehr vielseitig präsentieren. Zudem musste ich feststellen, dass die Durchfahrt des Kanton Wallis von Obergoms bis Saint-Maurice doch mehr Zeit in Anspruch genommen hatte, als vorgängig angenommen. Da das Motorradfahren im Regen nicht wirklich ein Genuss ist – für mich zumindest - versuchte ich wo immer möglich auf die Autobahn auszuweichen; Pech nur, dass ein Autobahnabschnitt gesperrt war und erst ab Sion Richtung Martigny Autobahn anstelle Hauptstrasse angesagt war. Wie es der Zufall wollte, konnte ich mich auf einem Autobahnparkplatz des Regenschutzes entledigen. Exakt zu diesem Zeitpunkt war ich der einzige Biker, welcher diese Gelegenheit nutzte, wieder auf "Trockenbetrieb" zu wechseln. Im Nachhinein nicht wirklich verwunderlich. Die Zwischenstation respektive das Hotel, welches ich im Vorfeld dieser zweitägigen Tour evaluiert hatte, war zum Greifen nahe. Hätte ich mich nicht im für mich unbekannten Territorium im Raum Aigle verfahren. An dieser Stelle kann ich erwähnen, dass es nicht das erste und letzte Mal auf dieser Route war, wo ich mich verfahren sollte.
Im Hotel "du Cerf" in Le Sépey angekommen, musste die Dusche noch einwenig auf mich warten. Als überzeugter Naked Bike Fahrer verfügt man bekanntlich nicht über Seitenkoffer/-taschen etc., so dass ich mich zuerst noch ca. 15min mit der Gepäck-Demontage beschäftigen durfte. Die Dusche sollte aber nicht der Einzige Ort der Erholung bleiben, da das Hotel auch über einen kleinen Wellnessbereich verfügte, liess ich es mir nicht nehmen, die Infrastruktur ausgiebig zu nutzen. Ich weiss nicht, wann ich mich das letzte Mal so sehr über einen Sauna- und Dampfbad Besuch gefreut habe. Das sehr gute Nachtessen hat mir trotz nicht bestelltem Dessert den Abend versüsst. Es muss glaube ich nicht speziell erwähnt werden, dass ich in der Nacht auf Sonntag sehr gut geschlafen habe. Neben dem Hotel hätte ein (Rock-)Konzert stattfinden können und ich hätte mit grosser Wahrscheinlichkeit gleich gut genächtigt.
Laut Wetterprognose war der Sonntag voll von Sonnenschein und geringem Regenrisiko. Die Wetterpropheten sollten Recht behalten. Der Sonntag war definitiv ein Traumtag. Da mir keine Zeit blieb, um ausgiebig zu frühstücken, war ich um 09:00 Uhr schon wieder auf Achse. Rückblickend hätte ich mir mehr Zeit nehmen können, da ich mich schon zu Beginn wieder einwenig verfahren hatte. Keine Ahnung warum ich mich in Leysin inmitten einer Marathon Veranstaltung wiedergefunden habe, aber bedingt unterhaltsam war es trotzdem. Nur ein Steinwurf weiter entfernt, lag "Les Diablerets", wo man das ganze Jahr Skifahren könnte. Der "Col des Mosses", welcher den Kanton VD mit dem Kanton FR verbindet, war an diesem Vormittag angenehm stark frequentiert. Auf der Passhöhe fand ebenfalls eine Veranstaltung statt, welche aber eher einer lokalen Marktveranstaltung zugeordnet werden konnte.
Die dritte und letzte kleine "Irrfahrt" fand im Raum Bulle statt. Auf dem Jaunpass fuhr eine Honda Goldwing vor mir. Ich kam fast nicht mehr zum Staunen heraus; dieses knapp 350kg schwere Gefährt lässt sich anscheinend von einem erfahrenen Biker sehr, sehr sportlich die Passstrasse rauf und runter bewegen. Auf der Verzweigung unten angekommen, gönnte ich mir einen kurzen Abstecher nach Gstaad; per Zufall fand gerade das Tennis Finalspiel der Herren statt. Die Strecke zwischen Schönried und Wimmis war stark befahren, so dass es Zeit gab, die Landschaft punktuell vermehrt wahrzunehmen.
Am Thunersee angekommen musste ich als Bündner feststellen, dass diese Region wahnsinnig schön zu sein scheint. Ein richtiges "Bijou"; tolle Kulisse, geniales Wetter und viele Sonnenhungrige auf der Suche nach einer Abkühlung. Wie gerne hätte ich an einem der zahlreichen Strand-Cafés einen kurzen "Boxenstopp" eingelegt und das kühle Nass aufgesucht. Aber der strenge Zeitplan war gnadenlos; die sichere Weiterfahrt hatte oberste Priorität. Auf der Fahrt Richtung Sustenpass merkte man verkehrstechnisch, dass auf dem Brünig ein Schwingfest durchgeführt wurde. Auch dieses wäre sicherlich ein Besuch wert gewesen.
Kurz nach den ersten paar hundert Metern auf dem Sustenpass musste ich jedoch eine leichte Köstlichkeit und etwas zu trinken zu mir nehmen. Meine Wahl fiel auf das Gasthaus "Hotel Restaurant Terrasse – das Rösti Restaurant". Tolle Leute, gastfreundlich und eine sehr gute Auswahl an Speisen erwarteten mich. Per Zufall kam ich mit einem Lamborghini Huracan Fahrer ins Gespräch. Die Liebe zu Pferdestärken kann vielseitig sein. Ob 2- oder 4-Rad Fahrer; Emotionen können "Brücken" schlagen. Gerne hätte ich das Angebot angenommen und den Sustenpass mit dem V10-Triebwerk aus 5.2 Litern Hubraum und 610 PS in Angriff genommen, aber wie der aufmerksame Leser vielleicht erahnen kann, fehlte mir die Zeit dafür und diese Zeit hätte ich mir sehr, sehr gerne genommen. Gefühlt waren alle Biker aus der Schweiz und den Nachbarsländern auf dieser Passstrecke unterwegs. Weniger wäre hier mehr gewesen, aber man kann auf diesem stark befahrenen Pass keine Exklusivität erwarten.
Auf der Fahrt Richtung Wassen war das eine oder andere Motorrad Überholmanöver zu beobachten, welches glücklicherweise glimpflich ausging, aber so nie und nimmer hätte stattfinden dürfen. Durchgezogene Sicherheitslinien und fehlende Kurveneinsicht stellten für einzelner Biker kein Hindernis dar, das vorausfahrende Fahrzeug zu überholen. Diese Art von rücksichtslosen Motorradfahrern gehört nicht auf Schweizer Strassen. Zum guten Glück fährt die Mehrheit mit Kopf und hält sich an die Verkehrsregeln. Im Kanton Uri angekommen, wusste man, dass man die Autobahn peinlichst vermeiden sollte, da dort Stau angesagt war.
Auf dem Weg Richtung Klausenpass begegnete ich zwei Bikern aus England. Eines der Motorräder entsprach nahezu 1:1 dem Fortbewegungsmittel meiner Wahl. Ich würde lügen, hätte es mich nicht einwenig mit Stolz erfüllt, einen Englänger auf dem Produkt "meiner Wahl" zu sehen. Der Klausenpass wird mir noch lange in Erinnerung bleiben und zwar aus folgenden zwei Gründen:
- Gefährliche Streckenabschnitte (nur 2.3m breit und mit sehr einfachen Mitteln auf der Strassenrandseite begrenzt, welche mehrere 100m abfallen), welche für mich als "Höhenangst" geplagter zusätzlich eine Herausforderung darstellten
- Der Zustand der Strassen sowie die Vielfalt an Strassenbelägen auf der Glarnerseite ist konkurrenzlos an letzter Stelle aller befahrenen Pässe; man kann durchaus von einer Zumutung sprechen
Im Linthal angekommen ging es nach einem kurzen Boxenstopp weiter Richtung Wasserfluh und Schwägalp. Dieser Streckenabschnitt war mir bereits bekannt und verlief problemlos. Die restlichen Kilometer bis nach Hause waren anstrengend, da man geistig die Route kannte und genau wusste, wie lange es noch ungefähr dauern würde, bis man vom Motorrad runtersteigen und das Bike in der Garage einstellen konnte. Zuhause angekommen, war die Erleichterung gross und der Drang nach einem (Perskindol-)Bad äusserst stark.
Zu guter Letzt ein kleines Fazit. Mehr als 10 Kantone (GR, TI, UR, VS, VD, FR, BE, GL, SG, AR) wurden befahren. Mit einem 17.5 Liter Tank sucht man zwangsläufig des Öfteren eine Tankstelle auf. Die Restaurantbesuche beschränkten sich auf Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Dabei durfte ich als Bündner Biker in ausserkantonalem Territorium nicht nur Deutsch oder Romanisch sprechen. Mein Schulfranzösisch und im Notfall Englisch kamen zum Einsatz. Ein wirklich toller Pass auf dieser Strecke ist der Sustenpass. Diesen werde ich sicherlich noch das eine oder andere Mal aufsuchen, aber die Chance, dass dort ein Lamborghini zur freien Verfügung auf mich wartet, ist eher klein einzustufen.
Definitiv nicht meine erste Wahl bei den Pässen ist der Klausenpass, dies aufgrund einzelner sogar gekennzeichneter "gefährliche Strecke" Abschnitte sowie der katastrophale Zustand der Strassen auf Glarner Kantonsseite. Eine Sanierung wäre hier schon längst überfällig, aber es handelt sich hierbei ja nur um eine Passstrasse, so dass sicherlich noch sehr viel Zeit verstreichen wird, bis eine Sanierung eventuell mal ein Thema sein könnte.
Meine linke Hand kam nicht nur beim Kuppeln zum Einsatz, sondern auch beim Grüssen anderer Töfffahrer. Über beide Tage hinweg betrachtet, summierte sich diese Aktion. Über die Dauer von 37h und 1'050 gefahrenen Kilometern kam die Zeit zu kurz, die Natur mit all ihren schönen Seiten zu erkunden respektive einzelne Orte zu besichtigen. Alles in allem konnte ich sehr viele und schöne Momente / Erinnerungen mitnehmen und mein Verständnis für die Schweiz mit all ihren Kantonen, Pässen, Seen etc. positiv erweitern. Für all diejenigen Biker unter euch, welche sich jetzt fragen, ob man sich so etwas antun sollte, habe ich eine klare Antwort. JA! Gerne wieder, aber für mich frühestens im 2019 wieder, da jetzt ein paar Tage Erholung angesagt sind.
Euch allen weiterhin gute und sichere Fahrt.